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Die Jeckes und das hebräische Theater, Teil 36

Warum lehnte das „Ohel“-Theater eine fertige Inszenierung ab, in deren Zentrum
                              die Ereignisse der „Kristallnacht“ standen?

Von Tom Lewy

Die Ereignisse der „Kristallnacht“, die sich setzte die Direktion das Stück noch vor der
in der Nacht vom neunten auf den zehnten Premiere ab.
November 1938 abspielten, erschütterten In der Wochenzeitung „9 baErev“ (9 Uhr
den Jischuw in Erez Israel. Die Zeitung abends) erschien eine Nachricht über zwei
„Davar“ berichtete auf Seite 1 ihrer Ausgabe neue Stücke, die am „Ohel“ inszeniert
vom elften November unter der Schlagzeile: würden: „Schilton haBaarut“ (Das
„Grausame Ausschreitungen gegen die Unwissenheitsregime) von L. N. Tolstoi, das
deutschen und österreichischen Juden. Alle unter dem Titel „Schilton HaChoschech“
Synagogen verbrannt. Zweiundzwanzig (Regime der Finsternis) am 18.8.1940
Wiener Juden suchten verzweifelt den Premiere hatte, und „HaSchnaim“ (Die Zwei),
Freitod. Nazi-Raubtiere wüteten unter ein aktuelles Drama von Friedrich Lobe über
Polizeischutz.“ Zwei Tage später erschien in die Ereignisse in Deutschland, Iwrith von
der Redaktionskolumne „Davar HaJom“ ein A. HaMeiri. Am 8. Mai 1940 informierte
ergänzender Artikel ganz oben auf der ersten S. Sraja die Leser seiner Rubrik „Kraschim
Seite. „Die Ausschreitungen in Deutschland weSachkanim“ (Bühnenbretter und
übertrafen alles, was wir in den leidvollen Schauspieler) in der Tageszeitung „HaBoker“
letzten Jahren erfahren mussten.“  (Der Morgen) darüber, dass Lobe am „Ohel“
Angesichts dieser Reaktionen mutet es sein Drama „Schanim – Benei HaDor“
seltsam an, dass die traumatischen Ereignisse ( Jahre – Kinder des Zeitalters) inszeniere,
auf den Bühnen des hebräischen Theaters dessen Thema der gegenwärtigen deutschen
nicht thematisiert wurden. Das Theater Realität entnommen sei. Es handele von der
„HaMataté“ brachte etwa eine Woche nach Machtübernahme der Nazis und dem Status
dem Pogrom (am 16. November 1938) in eines jungen Juden (gespielt von Barban)
seinem Programm „Kar wecham“ (Kalt und nach der braunen Revolution. Einen Monat
heiß) den Einakter „Anschluss“, in dem es um zuvor hatte S. Sraja in seiner Rubrik bereits
den grotesken Streit zwischen dem Verband Einzelheiten über das Stück veröffentlicht:
der deutschen Einwanderer und dem Verband „Soweit ich weiß, geht es um die Freundschaft
der österreichischen Einwanderer in Erez zweier Deutscher, der eine Jude, der andere
Israel ging. Das Theater „HaBimah“ ignorierte Christ,diegemeinsamdurchdieereignisreiche
das schmerzhafte Geschehen völlig. Dort Phase vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zu
wurde nur ein einziges Stück aus dem Leben Beginn des gegenwärtigen Weltkriegs gehen.
der deutschen Juden gezeigt: „Professor [...] Wir haben seit annähernd zwanzig Jahren
Mannheim“, und zwar bereits im Juli 1934. Das ein professionelles Theater, und jetzt wird, wie
„Ohel“, von dessen zwei Hausregisseuren einer mir scheint, zum ersten Mal ein speziell für
der deutsche Einwanderer Friedrich Lobe das hebräische Theater geschriebenes Drama
war, stand im Begriff, ein Drama aufzuführen, mit realen aktuellen Bezügen aufgeführt.“
das in den Ereignissen der „Kristallnacht“ Die Handlung des Stücks, eine Abfolge
kulminierte, doch aus irgendeinem Grund melodramatischer Ereignisse, spielt in

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