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#needhelp – Peer Support bei psychischen
Erkrankungen auf der Social Media-App Jooodell
von Hanna Kerojoki, MM1.2 Methodologie, M.A. Markt- und Medienforschung, Technische Hochschule Köln
Einleitung – „Psychische Gesundheit – Ein Boomthema“, so lautet es im Titel eines Zeitschriftenaufsatzes des Diplompsychologen Thomas Altgeld (2020, S. 5). Während dieses Thema früher als Tabuthema galt,
scheint der Umgang mit psychischen Erkrankungen sich heutzutage immer offener zu gestalten (vgl. Bodanowitz 2019). So ist es auch nicht verwunderlich, dass psychische Erkrankungen von Betroffenen immer häufiger in
den sozialen Medien thematisiert werden. Dabei bieten soziale Medien Betroffenen die Möglichkeit in einem riesigen Netzwerk Gleichgesinnte zu finden ohne dabei zwangsläufig ihre Identität preisgeben zu müssen
(Berger et al. 2005). Hieran setzt dieses Forschungsvorhaben am Beispiel der Social Media-App „Jodel“ an.
Theoretischer Hintergrund & Problemstellung
Obwohl die Enttabuisierung von psychischen Erkrankung immer weiter voranschreitet, scheuen
viele Betroffene die öffentliche Thematisierung ihrer Erkrankung. Diesbezüglich verwiesen Berger
et al. bereits im Jahr 2005 auf die Chance sozialer Medien für Betroffene, um über psychischen
Probleme zu reden ohne die Identität Preis zu geben und stigmatisiert zu werden. Außerdem
belegen unterschiedliche Studien, dass Betroffene psychischer Erkrankungen soziale Medien auf
informeller Ebene nutzen, um sich über ihre Erkrankungen auszutauschen, Hilfe zu suchen und/
oder sich gegenseitig zu unterstützen (vgl. Gowen et al. 2012; Miller et al. 2015).
Während der Bereich des formalen Peer Supports, welcher sich überwiegend auf Plattformen von
Therapie- und Gesundheitseinrichtungen abspielt, wissenschaftlich immer breiter erforscht wird
(bspw. Strand et al. 2020; Chinman et al. 2014; Davidson et al. 2006), liegen im Bereich des
informellen Peer Supports, welcher mehrheitlich in den sozialen Medien stattfindet, nur wenige
Erkenntnisse vor (vgl. Naslund et al. 2014; Ziebland & Wyke 2012; Berger 2005).
Um diese Forschungslücke zu schließen, haben Naslund et al. (2014) eine Online-Ethnografie auf
YouTube durchgeführt. In dieser haben sie YouTube-Videos von Personen mit psychischen
Erkrankungen und die dazugehörigen Kommentare nach der Grounded Theory ausgewertet. Dabei
identifizierten sie vier Formen von informellem Peer Support. Jedoch liefert die Studie nur
begrenzt Informationen zum breiten Feld des Peer Supports in den sozialen Medien. Einerseits, so
Naslund et al. (2014), sagt die Studie nichts über die individuelle Motivation der Betroffenen
Zielsetzung – Dieses Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit dem Thema „Peer
bezüglich des Teilens von Inhalten über ihre Erkrankung aus. Andererseits bleibt offen, ob sich der
informelle Peer Support auf anderen Social Media-Plattformen mit anderen Strukturen genauso Support bei psychischen Erkrankungen auf der Social Media-App Jodel“. Die Social Media-App
oder anders gestaltet. Diese Fragen liegen bei diesem Forschungsvorhaben im Fokus. Jodel wurde gewählt, da die Nutzerschaft auf der App vollkommen anonym kommuniziert. Im
Vergleich zu den bisher betrachteten Social Media-Plattformen in diesem Kontext weist Jodel
somit eine vollkommen andere Struktur auf (vgl. Naslund et al. 2014, Moreno et al. 2011). Dies
bietet Potenzial, um neue, bisher unerkannte Erkenntnisse zum Peer-Supports in den sozialen
Medien zu gewinnen.
Konkreter sollen die Formen des Peer Supports auf Jodel identifiziert werden. Diese Ergebnisse
Fragestellung – Die Leitfrage des Forschungsvorhabens ist Folgende:
sollen wiederum mit den Ergebnissen aus der Online-Ethnografie zu YouTube von Naslund et al.
Welche Formen des Peer Supports zwischen Betroffenen psychischer Erkrankungen sind auf (2014) trianguliert werden. So können anhand von zwei strukturell sehr unterschiedlichen
Jodel zu identifizieren? Plattformen forschungsökonomisch erste Erkenntnisse zu plattformspezifischen und plattform-
Untergeordnete Fragestellungen bilden: unspezifischen Formen des informellen Peer Supports herausgestellt werden.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede weist der Peer Support auf den Social Media- Ferner sollen individuelle Motive der Nutzer*innen für das Teilen von Inhalten über ihre eigene
Plattformen Jodel und YouTube auf? psychischen Erkrankung herausgestellt werden, um die bisherigen Erkenntnisse zur Peer Support-
Was motiviert Betroffene psychischer Erkrankungen dazu, Inhalte über ihre Erkrankung in Forschung im Bereich der sozialen Medien zu erweitern.
sozialen Medien – konkreter auf Jodel – zu teilen?
Da die Bandbreite von psychischen Erkrankungen nach ICD-10 sehr umfangreich ist (vgl. Dilling & Freyberger
2019) werden in diesem Forschungsvorhaben nur folgende Erkrankungen betrachtet: Depressionen,
Angststörungen, Essstörungen und Suchterkrankungen.
Methodisches Vorgehen – Das Forschungsvorhaben beruht auf einem
mehrstufigen, qualitativen Forschungsdesign:
(nach Kozinets 2010) auf der Social Media-App Jodel – Beobachtung von Jodeln,
in denen Jodler*innen sich über die eigene psychische Erkrankung äußern
→ Identifizierung relevanter Jodel über einschlägige Channels und Hashtags
Online Identifizierung von Formen des Peer Supports bei Betroffenen von psychischen
Ethnografie Erkrankungen auf Jodel
der gewonnenen Daten mit den Daten aus der Online Ethnografie zu Formen von
Peer Support auf YouTube von Naslund et al. (2014)
Herausstellung von plattformspezifischen und plattformunspezifischen Formen
Daten-
Triangulation des Peer Supports
mit Jodler*innen, die auf Jodel über ihre psychische Erkrankung kommunizieren
→ Einblenden von Rekrutierungsanzeigen bei Jodeln in einschlägigen Channels oder mit
einschlägigen Hashtags
Erkenntnisgewinn – Ziel dieses Forschungsvorhabens ist es nicht nur neue, Leitfaden- Aufdecken von Motiven für das Teilen von Inhalten über die eigene psychische
wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Peer Support-Forschung im Bereich der sozialen interviews Erkrankung in sozialen Medien bzw. auf Jodel
Medien zu erhalten. Die Erkenntnisse sollen ferner Social Media-Anbietern aufzeigen, wie sie ihre
Plattform freundlicher für Betroffene psychischer
Erkrankungen gestalten können. Denn obwohl der
Peer Support auf
informelle Online-Peer Support eine bedeutsame
Social Media Codierung und Auswertung der Daten gemäß den Prinzipien der Grounded Theory nach
Stütze für Betroffene psychischer Erkrankungen bei der
Strauss und Corbin (2003)
Bewältigung ihres Alltags darstellen kann, ist dieser
auch mit Risiken verbunden, welche die psychische
Erkrankung sogar verschlechtern können (vgl. Naslund
et al. 2016; Ziebland & Wyke 2012; Entwistle et al.
2011). Gestaltungs- Forschung zu Quellen
maßnahmen Peer Support
Durch tiefergreifende Erkenntnisse im Bereich der Altgeld, T. (2020). Psychische Gesundheit - Ein Boomthema, befeuert durch das Präventionsgesetz und die Digitalisierung. In Sozialpsychiatrische Informationen, 50(2), S.
5–9.
Online-Peer Support-Forschung kann dieses Wissen Berger, M.; Wagner, T. H. & Baker, L. C. (2005). Internet use and stigmatized illness. In Social Science & Medicine, 61 (8), S. 1821–1827.
durch Social Media-Anbieter genutzt werden, um Bodanowitz, J. (2019). DAK-Psychoreport 2019: dreimal mehr Fehltage als 1997. Hamburg: Pressestelle DAK Gesundheit. Verfügbar über
https://www.dak.de/dak/bundesthemen/dak-psychoreport-2019-dreimal-mehr-fehltage-als-1997-2125486.html [18.06.2020]
einerseits potenziell gefährdende Formen des Peer Chinman, M.; George, P.; Dougherty, R. H.; Daniels, A. S.; Ghose, S. S.; Swift, A. & Delphin-Rittmon, M. E. (2014). Peer support services for individuals with serious mental
illnesses: assessing the evidence. In Psychiatric Services, 65 (4), S. 429–441.
Supports zu erkennen und geeignete Maßnahmen Davidson, L.; Chinman, M.; Sells, D. & Rowe, M. (2006). Peer support among adults with serious mental illness: a report from the field. In Schizophrenia bulletin, 32 (3), S.
443–450.
dagegen zu ergreifen. Dilling, H. & Freyberger, H. J. (2019). Taschenführer zur ICD–10–Klassifikation psychischer Störungen, 9., aktualisierte Aufl. unter Berücksichtigung der Änderungen gemäß
ICD–10 GM. Bern: Huber.
Andererseits können sie die Räume, in denen sich Betroffene austauschen, optimieren und so den Entwistle, V. A.; France, E. F.; Wyke, S.; Jepson, R.; Hunt, K.; Ziebland, S. & Thompson, A. (2011). How information about other people's personal experiences can help with
Betroffenen einen Austausch mit Gleichgesinnten in einem sicheren und geschützten Raum healthcare decision-making: a qualitative study. In Patient Education and Counseling, 85 (3), S. 291-298.
Gowen, K.; Deschaine, M.; Gruttadara, D. & Markey, D. (2012). Young Adults with Mental Health Conditions and Social Networking Websites: Seeking Tools to Build
ermöglichen. Community. In Psychiatric Rehabilitation Journal, 35, S. 245–250.
Kozinets, R. V. (2010). Netnography: Doing Etnographic Research Online. Los Angeles: Sage.
Miller, B. J.; Stewart, A.; Schrimsher, J.; Peeples, D. & Buckley, P. F. (2015). How connected are people with schizophrenia? Cell phone, computer, email, and social media
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Moreno, M. A.; Jelenchick, L. A.; Egan, K. G.; Cox, E.; Young, H.; Gannon, K. E. & Becker, T. (2011). Feeling bad on Facebook: depression disclosures by college students on a
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Naslund, J. A.; Aschbrenner, K. A.; Marsch, L. A. & Bartels, S. J. (2016). The future of mental health care: peer-to-peer support and social media. In Epidemiology and
Psychiatric Sciences, 25 (2), S. 113–122.
Naslund, J. A.; Grande, S. W.; Aschbrenner, K. A. & Elwyn, G. (2014). Naturally occurring peer support through social media: the experiences of individuals with severe
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Kooperationspartner: Strand, M.; Eng, L. Sofie & Gammon, D. (2020). Combining online and offline peer support groups in community mental health care settings: a qualitative study of service
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