Page 27 - POSTER_Lookbook_M1.2-2020-06-23
P. 27

#needhelp – Peer Support bei psychischen













                                                                Erkrankungen auf der Social Media-App Jooodell






















                              von Hanna Kerojoki, MM1.2 Methodologie, M.A. Markt- und Medienforschung, Technische Hochschule Köln











             Einleitung – „Psychische Gesundheit – Ein Boomthema“, so lautet es im Titel eines Zeitschriftenaufsatzes des Diplompsychologen Thomas Altgeld (2020, S. 5). Während dieses Thema früher als Tabuthema galt,



             scheint der Umgang mit psychischen Erkrankungen sich heutzutage immer offener zu gestalten (vgl. Bodanowitz 2019). So ist es auch nicht verwunderlich, dass psychische Erkrankungen von Betroffenen immer häufiger in

             den sozialen Medien thematisiert werden. Dabei bieten soziale Medien Betroffenen die Möglichkeit in einem riesigen Netzwerk Gleichgesinnte zu finden ohne dabei zwangsläufig ihre Identität preisgeben zu müssen


             (Berger et al. 2005). Hieran setzt dieses Forschungsvorhaben am Beispiel der Social Media-App „Jodel“ an.















                 Theoretischer Hintergrund & Problemstellung





                 Obwohl die Enttabuisierung von psychischen Erkrankung immer weiter voranschreitet, scheuen


                 viele Betroffene die öffentliche Thematisierung ihrer Erkrankung. Diesbezüglich verwiesen Berger

                 et al. bereits im Jahr 2005 auf die Chance sozialer Medien für Betroffene, um über psychischen


                 Probleme zu reden ohne die Identität Preis zu geben und stigmatisiert zu werden. Außerdem


                 belegen unterschiedliche Studien, dass Betroffene psychischer Erkrankungen soziale Medien auf

                 informeller Ebene nutzen, um sich über ihre Erkrankungen auszutauschen, Hilfe zu suchen und/


                 oder sich gegenseitig zu unterstützen (vgl. Gowen et al. 2012; Miller et al. 2015).


                 Während der Bereich des formalen Peer Supports, welcher sich überwiegend auf Plattformen von


                 Therapie- und Gesundheitseinrichtungen abspielt, wissenschaftlich immer breiter erforscht wird


                 (bspw. Strand et al. 2020; Chinman et al. 2014; Davidson et al. 2006), liegen im Bereich des

                 informellen Peer Supports, welcher mehrheitlich in den sozialen Medien stattfindet, nur wenige


                 Erkenntnisse vor (vgl. Naslund et al. 2014; Ziebland & Wyke 2012; Berger 2005).


                 Um diese Forschungslücke zu schließen, haben Naslund et al. (2014) eine Online-Ethnografie auf

                 YouTube durchgeführt. In dieser haben sie YouTube-Videos von Personen mit psychischen


                 Erkrankungen und die dazugehörigen Kommentare nach der Grounded Theory ausgewertet. Dabei


                 identifizierten sie vier Formen von informellem Peer Support. Jedoch liefert die Studie nur


                 begrenzt Informationen zum breiten Feld des Peer Supports in den sozialen Medien. Einerseits, so


                 Naslund et al. (2014), sagt die Studie nichts über die individuelle Motivation der Betroffenen
                                                                                                                                                                                                                                                                   Zielsetzung – Dieses Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit dem Thema „Peer
                 bezüglich des Teilens von Inhalten über ihre Erkrankung aus. Andererseits bleibt offen, ob sich der


                 informelle Peer Support auf anderen Social Media-Plattformen mit anderen Strukturen genauso                                                                                                                                                       Support bei psychischen Erkrankungen auf der Social Media-App Jodel“. Die Social Media-App


                 oder anders gestaltet. Diese Fragen liegen bei diesem Forschungsvorhaben im Fokus.                                                                                                                                                                Jodel wurde gewählt, da die Nutzerschaft auf der App vollkommen anonym kommuniziert. Im

                                                                                                                                                                                                                                                                   Vergleich zu den bisher betrachteten Social Media-Plattformen in diesem Kontext weist Jodel

                                                                                                                                                                                                                                                                   somit eine vollkommen andere Struktur auf (vgl. Naslund et al. 2014, Moreno et al. 2011). Dies


                                                                                                                                                                                                                                                                   bietet Potenzial, um neue, bisher unerkannte Erkenntnisse zum Peer-Supports in den sozialen


                                                                                                                                                                                                                                                                   Medien zu gewinnen.


                                                                                                                                                                                                                                                                   Konkreter sollen die Formen des Peer Supports auf Jodel identifiziert werden. Diese Ergebnisse
                 Fragestellung – Die Leitfrage des Forschungsvorhabens ist Folgende:
                                                                                                                                                                                                                                                                   sollen wiederum mit den Ergebnissen aus der Online-Ethnografie zu YouTube von Naslund et al.


                         Welche Formen des Peer Supports zwischen Betroffenen psychischer Erkrankungen sind auf                                                                                                                                                    (2014) trianguliert werden. So können anhand von zwei strukturell sehr unterschiedlichen

                         Jodel zu identifizieren?                                                                                                                                                                                                                  Plattformen forschungsökonomisch erste Erkenntnisse zu plattformspezifischen und plattform-


                 Untergeordnete Fragestellungen bilden:                                                                                                                                                                                                            unspezifischen Formen des informellen Peer Supports herausgestellt werden.


                         Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede weist der Peer Support auf den Social Media-                                                                                                                                                      Ferner sollen individuelle Motive der Nutzer*innen für das Teilen von Inhalten über ihre eigene

                         Plattformen Jodel und YouTube auf?                                                                                                                                                                                                        psychischen Erkrankung herausgestellt werden, um die bisherigen Erkenntnisse zur Peer Support-


                         Was motiviert Betroffene psychischer Erkrankungen dazu, Inhalte über ihre Erkrankung in                                                                                                                                                   Forschung im Bereich der sozialen Medien zu erweitern.


                         sozialen Medien – konkreter auf Jodel – zu teilen?



                 Da die Bandbreite von psychischen Erkrankungen nach ICD-10 sehr umfangreich ist (vgl. Dilling & Freyberger

                 2019) werden in diesem Forschungsvorhaben nur folgende Erkrankungen betrachtet: Depressionen,

                 Angststörungen, Essstörungen und Suchterkrankungen.

                                                                                                                                                                                                                                                                   Methodisches Vorgehen – Das Forschungsvorhaben beruht auf einem


                                                                                                                                                                                                                                                                   mehrstufigen, qualitativen Forschungsdesign:





                                                                                                                                                                                                                                                                                                    (nach Kozinets 2010) auf der Social Media-App Jodel – Beobachtung von Jodeln,


                                                                                                                                                                                                                                                                                                    in denen Jodler*innen sich über die eigene psychische Erkrankung äußern

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    → Identifizierung relevanter Jodel über einschlägige Channels und Hashtags


                                                                                                                                                                                                                                                                           Online                   Identifizierung von Formen des Peer Supports bei Betroffenen von psychischen

                                                                                                                                                                                                                                                                      Ethnografie                   Erkrankungen auf Jodel















                                                                                                                                                                                                                                                                                                    der gewonnenen Daten mit den Daten aus der Online Ethnografie zu Formen von


                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Peer Support auf YouTube von Naslund et al. (2014)

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Herausstellung von plattformspezifischen und plattformunspezifischen Formen
                                                                                                                                                                                                                                                                           Daten-

                                                                                                                                                                                                                                                                    Triangulation                   des Peer Supports













                                                                                                                                                                                                                                                                                                    mit Jodler*innen, die auf Jodel über ihre psychische Erkrankung kommunizieren


                                                                                                                                                                                                                                                                                                    → Einblenden von Rekrutierungsanzeigen bei Jodeln in einschlägigen Channels oder mit

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    einschlägigen Hashtags


                 Erkenntnisgewinn – Ziel dieses Forschungsvorhabens ist es nicht nur neue,                                                                                                                                                                              Leitfaden-                  Aufdecken von Motiven für das Teilen von Inhalten über die eigene psychische


                 wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Peer Support-Forschung im Bereich der sozialen                                                                                                                                                            interviews                   Erkrankung in sozialen Medien bzw. auf Jodel


                 Medien zu erhalten. Die Erkenntnisse sollen ferner Social Media-Anbietern aufzeigen, wie sie ihre


                 Plattform freundlicher für Betroffene psychischer


                 Erkrankungen gestalten können. Denn obwohl der
                                                                                                                                                      Peer Support auf
                 informelle Online-Peer Support eine bedeutsame
                                                                                                                                                           Social Media                                                                                            Codierung und Auswertung der Daten gemäß den Prinzipien der Grounded Theory nach
                 Stütze für Betroffene psychischer Erkrankungen bei der
                                                                                                                                                                                                                                                                   Strauss und Corbin (2003)
                 Bewältigung ihres Alltags darstellen kann, ist dieser


                 auch mit Risiken verbunden, welche die psychische

                 Erkrankung sogar verschlechtern können (vgl. Naslund


                 et al. 2016; Ziebland & Wyke 2012; Entwistle et al.


                 2011).                                                                                                                Gestaltungs-                                    Forschung zu                                                                Quellen
                                                                                                                                       maßnahmen                                       Peer Support
                 Durch tiefergreifende Erkenntnisse im Bereich der                                                                                                                                                                                                     Altgeld, T. (2020). Psychische Gesundheit - Ein Boomthema, befeuert durch das Präventionsgesetz und die Digitalisierung. In Sozialpsychiatrische Informationen, 50(2), S.

                                                                                                                                                                                                                                                                       5–9.
                 Online-Peer Support-Forschung kann dieses Wissen                                                                                                                                                                                                      Berger, M.; Wagner, T. H. & Baker, L. C. (2005). Internet use and stigmatized illness. In Social Science & Medicine, 61 (8), S. 1821–1827.

                 durch Social Media-Anbieter genutzt werden, um                                                                                                                                                                                                        Bodanowitz,       J.   (2019).    DAK-Psychoreport        2019:     dreimal     mehr     Fehltage     als    1997.    Hamburg:       Pressestelle     DAK     Gesundheit.      Verfügbar     über
                                                                                                                                                                                                                                                                       https://www.dak.de/dak/bundesthemen/dak-psychoreport-2019-dreimal-mehr-fehltage-als-1997-2125486.html [18.06.2020]
                 einerseits potenziell gefährdende Formen des Peer                                                                                                                                                                                                     Chinman, M.; George, P.; Dougherty, R. H.; Daniels, A. S.; Ghose, S. S.; Swift, A. & Delphin-Rittmon, M. E. (2014). Peer support services for individuals with serious mental
                                                                                                                                                                                                                                                                       illnesses: assessing the evidence. In Psychiatric Services, 65 (4), S. 429–441.
                 Supports zu erkennen und geeignete                                                    Maßnahmen                                                                                                                                                       Davidson, L.; Chinman, M.; Sells, D. & Rowe, M. (2006). Peer support among adults with serious mental illness: a report from the field. In Schizophrenia bulletin, 32 (3), S.
                                                                                                                                                                                                                                                                       443–450.
                 dagegen zu ergreifen.                                                                                                                                                                                                                                 Dilling, H. & Freyberger, H. J. (2019). Taschenführer zur ICD–10–Klassifikation psychischer Störungen, 9., aktualisierte Aufl. unter Berücksichtigung der Änderungen gemäß


                                                                                                                                                                                                                                                                       ICD–10 GM. Bern: Huber.
                 Andererseits können sie die Räume, in denen sich Betroffene austauschen, optimieren und so den                                                                                                                                                        Entwistle, V. A.; France, E. F.; Wyke, S.; Jepson, R.; Hunt, K.; Ziebland, S. & Thompson, A. (2011). How information about other people's personal experiences can help with

                 Betroffenen einen Austausch mit Gleichgesinnten in einem sicheren und geschützten Raum                                                                                                                                                                healthcare decision-making: a qualitative study. In Patient Education and Counseling, 85 (3), S. 291-298.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Gowen, K.; Deschaine, M.; Gruttadara, D. & Markey, D. (2012). Young Adults with Mental Health Conditions and Social Networking Websites: Seeking Tools to Build
                 ermöglichen.                                                                                                                                                                                                                                          Community. In Psychiatric Rehabilitation Journal, 35, S. 245–250.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Kozinets, R. V. (2010). Netnography: Doing Etnographic Research Online. Los Angeles: Sage.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Miller, B. J.; Stewart, A.; Schrimsher, J.; Peeples, D. & Buckley, P. F. (2015). How connected are people with schizophrenia? Cell phone, computer, email, and social media
                                                                                                                                                                                                                                                                       use. In Psychiatry Research, 225 (3), S. 458–463.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Moreno, M. A.; Jelenchick, L. A.; Egan, K. G.; Cox, E.; Young, H.; Gannon, K. E. & Becker, T. (2011). Feeling bad on Facebook: depression disclosures by college students on a
                                                                                                                                                                                                                                                                       social networking site. In Depression and Anxiety, 28 (6), S. 447–455.

                                                                                                                                                                                                                                                                       Naslund, J. A.; Aschbrenner, K. A.; Marsch, L. A. & Bartels, S. J. (2016). The future of mental health care: peer-to-peer support and social media. In Epidemiology and
                                                                                                                                                                                                                                                                       Psychiatric Sciences, 25 (2), S. 113–122.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Naslund, J. A.; Grande, S. W.; Aschbrenner, K. A. & Elwyn, G. (2014). Naturally occurring peer support through social media: the experiences of individuals with severe
                                                                                                                                                                                                                                                                       mental illness using YouTube. In PloS one, 9 (10), S. 1-9.
                 Kooperationspartner:                                                                                                                                                                                                                                  Strand, M.; Eng, L. Sofie & Gammon, D. (2020). Combining online and offline peer support groups in community mental health care settings: a qualitative study of service

                                                                                                                                                                                                                                                                       users' experiences. In International Journal of Mental Health Systems, 14 (39), S. 1-12.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Strauss, Anselm L. & Corbin, Juliet M. (2003). Basics of Qualitative Research. Techniques and Procedures for Developing Grounded Theory, 2. Aufl. Thousand Oaks: Sage.
                                                                                                                                                                                                                                                                       Ziebland, Sue & Wyke, Sally (2012). Health and illness in a connected world: how might sharing experiences on the internet affect people's health? In The Milbank
                                                                                                                                                                                                                                                                       quarterly, 90 (2), S. 219–249.
   22   23   24   25   26   27   28   29   30   31   32